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Kraftfahrzeuge prägen unser gesamtes Leben. Sie ermöglichen die Mobilität von Personen, Gütern und Geräten in einem Maße, das vor ihrer Erfin-dung völlig undenkbar war. Sie sind die Basis für eine weiträumige Arbeitsteilung; die europäische Integration wäre ohne sie schwer vorstellbar. Sie erlauben die fein differenzierte Darstellung von Statusansprüchen. Sie dienen auch dem Vergnügen. Wir können uns kaum noch vorstellen, ohne sie auszukommen.
Diese Entwicklung begann 1885 – 1887 als Daimler und Benz die ersten Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor realisierten. Automobile wurden in der Folge zunächst in Frankreich, dann bis zum 1. Weltkrieg auch stär-ker in England und schließlich nach 1918 in den USA zu serienmäßig her-gestellten Produkten entwickelt. Der endgültige Durchbruch zur heutigen Bedeutung lässt sich mit dem Namen von Henry Ford verbinden. Unter seiner Leitung wurden die Möglichkeiten für die Massenproduktion ge-schaffen. Das Auto wurde billig(er) beim Kauf und im Betrieb, vielseitig(er) in der Nutzung und langsam aber sicher unverzichtbar. Inzwischen wird es weltweit in Millionenstückzahlen und in einer großen Vielfalt von Varianten gebaut. Die Prozesse, in denen es entwickelt und zur Produktion vorbereitet wird, sind heute in hohem Maße auf die Anwendung wissen-schaftlicher Methoden angewiesen. Ohne eine ausgefeilte Versuchstech-nik, ohne numerische Berechnungsverfahren, ohne die Simulation von Prozessen ist es nicht mehr möglich, erfolgreich Automobile für den Weltmarkt zu entwickeln.
Diese „Verwissenschaftlichung“ der Kraftfahrzeugtechnik hat langsam begonnen. Professor Franz Reuleaux von der Königlichen Technischen Hochschule zu Berlin stand seinem Studienfreund Eugen Langen, dem Partner von Nicolaus Otto, bei der Entwicklung der ersten kompakten, grundsätzlich autotauglichen Ottomotoren mit Rat zur Seite; 1876 war schließlich der Viertakt-Ottomotor erfunden. Reuleaux war aber offenbar der einzige Hochschulforscher, der an der Pionierphase der Kraftfahrzeug-entwicklung unmittelbar beteiligt war. Das änderte sich in den folgenden Jahren. Ab 1899 baute die Allgemeine Automobilgesellschaft in Berlin-Oberschöneweide Kraftfahrzeuge nach den Entwürfen von Professor Ge-org Klingenberg. Professor August von Borries hielt ab 1902 an der Kö-niglichen Technischen Hochschule zu Berlin die wahrscheinlich weltweit erste Spezialvorlesung zum Automobilbau. 1904 wurde dort eine Ver-suchshalle für Kraftfahrzeugtechnik gebaut. Ab dem Wintersemester 1904/05 wurde der Studiengang Maschinenbau aufgegliedert in Maschinenbau, Verkehrstechnik und Elektrotechnik. 1907 wurde das „Laboratorium für Verbrennungskraftmaschinen und Kraftwagen“ offiziell gegründet.
Zunächst standen bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Kraftfahrzeug versuchstechnische Untersuchungen im Vordergrund. Theo-retische Betrachtungen waren von begrenzter Relevanz. Das änderte sich im Laufe der Zeit. Heute kann man feststellen, dass die Kraftfahrzeugtechnik Erkenntnisse und Methoden aus praktisch jeder anderen Ausprägung der Ingenieurwissenschaften, aus vielen Naturwissenschaften, aus der Mathematik und Informatik aus den Humanwissenschaften und aus der Betriebswirtschaft nutzt. Ein Ingenieur, der das Kraftfahrzeug als Sys-tem verstehen will, muss Kenntnisse aus allen diesen Disziplinen haben, wenn er die erforderlichen Vereinfachungen zur Lösung seines speziellen Problem in angemessener Weise machen will. Angesichts der Breite der Themenfelder kann er nur auf wenigen selber ein Spezialist sein, er muss aber die Fähigkeit zur Einordnung und zum Stellen „der richtigen Fragen“ an die jeweiligen Spezialisten haben. Er braucht auch die Fähigkeit, sich dem geballten Spezialwissen nicht einfach zu beugen, sondern es zu hin-terfragen, zu neuen Kombinationen zu kommen. Diese Systemkompetenz zu vermitteln ist ein wichtiges Ziel bei der Ausbildung von Ingenieuren der Kraftfahrzeugtechnik. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem System Kraftfahrzeug führt aber auch zu Fragestellungen, die in anderen Fachdisziplinen so nicht auftreten. So sind zum Beispiel die Optimierung der passiven Sicherheit, also des Verhaltens des Fahrzeugs und seiner In-sassen im Verlauf eines Unfalls, oder des Fahrkomforts, der Querdynamik, des Kraftstoffverbrauchs, der Emissionen usw. Themen, die einen theore-tisch fundierten Einblick in die wirksamen Mechanismen und in die verfügbaren Gestaltungsspielräume erfordern.
Kraftfahrzeuge werden heute in hochgradig arbeitsteiligen Prozessen entwickelt. An einem neuen Modell arbeiten je nach Projektphase einige dutzend bis weit über tausend Fachleute zusammen. Dies geschieht in aller Regel in Multiprojektsituationen, es werden also mehrere Projekte zeitlich versetzt parallel bearbeitet. Viele der Beteiligten arbeiten gleichzeitig an mehreren Vorhaben, sie haben mehreren Projektleitern zu berichten und sind Teil mehrerer Arbeitsteams. Autos werden mit dem Ziel entwickelt, sie in Millionenstückzahlen zu bauen. Selbst von Fahrzeugen der Ober-klasse werden täglich bis über dreihundert hergestellt. Die Möglichkeit zur kostengünstigen Fertigung dieser extrem variantenreichen Produkte muss schon in den frühen Phasen der Entwicklung mit berücksichtigt werden. Die Arbeitsteilung in der Entwicklung und die Multiprojektsituation stellt hohe Anforderungen an die soziale Kompetenz der Entwickler. Seit eini-gen Jahren erfolgen Fahrzeugentwicklung und -produktion zudem in glo-bal verteilten Strukturen; es werden also zusätzlich Anforderungen an die Fähigkeit sich auf Englisch verständigen und an das Verhalten in interkul-turellen Zusammenhängen gestellt. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass die Entwicklung eines Kraftfahrzeugs einerseits ein technisches, ganz wesentlich aber auch ein soziales Ereignis ist.
Die schiere Zahl der Kraftfahrzeuge hat natürlich auch erhebliche uner-wünschte Nebenwirkungen in Form von Unfallopfern, Ressourcen-verbrauch, Lärmbelästigung, Abgasemissionen, Energieverbrauch zur Fol-ge. Ein dichtes Netz von Vorschriften und Normen ist zu beachten. Die Fahrzeugsicherheit wurden durch umfassende Schutzmechanismen auf ein Niveau gebracht, das noch vor einigen Jahren als undenkbar galt. Neue Ansätze vor allem in Form von Fahrerassistenzsystemen ermöglichen in den näheren Zukunft noch wesentliche weitere Fortschritte. Die Abgas-emissionen moderner Kraftfahrzeuge nach europäischen oder US-amerikanischem Standard sind so gering, dass eine Gefährdung von Mensch und Umwelt praktisch ausgeschlossen werden kann.
In Deutschland spielt das Kraftfahrzeug eine besonders große Rolle. Die Automobilindustrie mit ihren Zulieferern, Ingenieurfirmen, Anlagenbau-ern, Softwarehäusern, Vertriebsfirmen usw. ist die bei weitem größte Branche. Deutsche Firmen haben sich zu weltumspannenden und die Welt beliefernden Konzernen entwickelt. Sie stehen in einem intensiven Wett-bewerb untereinander und mit französischen, italienischen, japanischen, koreanischen und US-amerikanischen Firmen. Zugleich arbeiten Automo-bilfirmen in zahlreichen Kooperationen zusammen; Beispiele sind gemein-same vorwettbewerbliche Forschung, die Normierung, Entwicklung und Produktion von Komponenten. Es besteht also gleichzeitig Wettbewerb und Kooperation – „coopetition“. Weitere große Automobilfirmen wach-sen vor allem in China und Indien heran. Um im Wettbewerb zu bestehen, wird weltweit intensiv an neuen Produkten gearbeitet. Die deutschen Au-tomobilhersteller greifen dabei auf ein dichtes Netz von kompetenten Zu-lieferern und Ingenieurfirmen zurück. Es besteht in dieser Form nur an wenigen Stellen auf der Welt und erklärt zum guten Teil die Dominanz Deutschlands auf dem Gebiet der Premium-Kraftfahrzeuge. Es überrascht daher nicht, dass von den 38 Mrd. €, die in Deutschland jährlich für For-schung und Entwicklung aufgewendet werden, ca. 35 % auf den Fahr-zeugbau entfallen.
Die vielfältig differenzierte Automobilbranche ist für ihren ständigen Innovationsprozess auf hoch qualifizierte Ingenieure fast aller Fachrich-tungen angewiesen. Die akademische Ausbildung von Kraftfahrzeugtech-nikern richtet sich vor allem auf die Vermittlung der oben angesprochenen Systemkompetenz in ihren vielen Facetten. Sie bekommt ihre besondere Realitätsnähe durch die Teilnahme der Studierenden an aktuellen Forschungsvorhaben, die häufig zusammen mit der Industrie in Projekten mit internationaler Beteiligung erfolgt. Die Forschung greift dabei auch The-men auf, die in der Industrie selber nicht so große Beachtung finden. Sie kann unabhängiger von den Notwendigkeiten einer wirtschaftlichen Verwertung arbeiten und trug und trägt so zur Schaffung eines sinnvollen re-gulatorischen Rahmens bei, dem die Produkte der Industrie im Allgemein-interesse genügen müssen. In der Summe kann man feststellen, dass die akademische Beschäftigung auf dem Gebiet der Kraftfahrzeugtechnik in Deutschland im internationalen Vergleich ein sehr hohes Niveau hat. Dies gilt seit Jahrzehnten auch für das Fachgebiet Kraftfahrzeuge der Techni-schen Universität Berlin.
Diese Geltung ist aus einer 100-jährigen Tradition gewachsen. Sie hat mehrere politisch bedingte Brüche überstanden. Immer wieder gelang es, die wissenschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, um aktuelle Fragen mit Kompetenz zu beantworten. Das ist die Leistung einer großen Zahl von engagierten Personen, die sich als Studenten, als Mitarbeiter, als Pro-fessoren für das Fachgebiet und für ihr Themenfeld eingesetzt haben. Eine wichtige Rolle spielen auch die zahlreichen Lehrbeauftragten, die ihr Fachwissen aus der industriellen Praxis den Studenten zur Verfügung stellen. Ihnen allen gebührt unser Dank. Die heutigen Mitarbeiter des Fachgebiets verstehen ihr Vorbild als Verpflichtung. Sie können mit Recht von sich behaupten, am Fahrzeug für morgen zu forschen und so weiter aus ei-ner großen Tradition Zukunft entstehen zu lassen.
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